Stell dir vor, du bist allein zu Haus. Plötzlich steht ein Mann vor dir. Er behauptet, dein Lebensgefährte zu sein. Aber du hast keine Ahnung, wer er ist. Und nichts in deinem Zuhause deutet darauf hin, dass jemand bei dir wohnt. Er redet auf dich ein, dass du doch bitte zur Vernunft kommen sollst. Du hast Angst. Und du verspürst diesen unwiderstehlichen Drang, dich zu wehren. Ein Messer zu nehmen. Bist du verrückt geworden?
Stell dir vor, du kommst nach Hause, und deine Frau erkennt dich nicht. Sie hält dich für einen Einbrecher. Schlimmer noch, für einen Vergewaltiger. Dabei willst du sie doch nur beschützen. Aber sie wehrt sich, sie verbarrikadiert sich. Behauptet, dich niemals zuvor gesehen zu haben. Sie hält dich offensichtlich für verrückt. Bist du es womöglich?
Eine Frau. Ein Mann. Je mehr sie die Situation zu verstehen versuchen, desto verwirrender wird sie. Bald müssen sie erkennen, dass sie in Gefahr sind. In tödlicher Gefahr. Und es gibt nur eine Rettung: Sie müssen einander vertrauen.
Ursula Poznanski und Arno Strobel schreiben zusammen einen Thriller? Als ich davon zum ersten Mal hörte, wanderte das Buch sofort auf meinen Wunschzettel. Auch wenn mich die Bücher von beiden icht durchweg von sich überzeugen konnten, gehören sie doch zu den Autoren, von denen ich mir kein Buch entgehen lasse. Weil es eben doch einige Bücher von ihnen gibt, die absolut meinen Geschmack getroffen haben.
Kaum zog „Fremd“ ein, wurde es auch schon gelesen. Ich hatte wirklich große Erwartungen und konnte es einfach nicht auf den SUB legen.
Leider muss ich sagen, dass die Ernüchterung nicht lange auf sich warten ließ. Der Klappentext klang so gut und dann das! Natürlich ist die Situation unheimlich, die Erik und Joanna am Anfang erleben. Erik kommt nach Hause und seine Lebengefährtin Joanna (er)kennt ihn nicht und versucht umgehend, sich vor ihm zu schützen und in Sicherheit zu bringen. Was geht plötzlich vor sich in Eriks einst so glücklichen und geregelten Leben? Erst war ich noch neugierig, doch das verlor sich ebenso schnell wie die anfängliche Spannung.
Ich habe lange überlegt, wieso das so war. Es war gar nicht so einfach, dieser Sache auf den Grund zu geben. Inzwischen bin ich mir sicher, woran es lag. Mir fehlte lange Zeit jeglicher Zugang zu Erik und Joanna. Man bekommt zwar einige Fakten und Informationen über sie an die Hand, aber was für ein Mensch sind sind, welchen Charakter sie haben, das bleibt lange im Dunklen. Das führte bei mir dazu, dass ich mich in keinen von beiden richtig hineinfühlen / hineinversetzen konnte. Wahrscheinlich ist das bewusst so gehalten. Damit man als Leser genauso ahnungslos dasteht wie Joanna und Erik und mit ihnen rätseln kann, aber ich brauche diesen Zugang zu Figuren um mitfiebern zu können. Um eine liebgewonnene / sympathische Figur bange ich viel leichter,mit ihr fiebere ich viel schneller mit als mit einer, über die ich ausser ein paar Fakten nichts weiß.
Und auch das Drumherum konnte die mangelnde Spannung bei den beiden Hauptfiguren nicht ausgleichen. Ja, irgendetwas geht da in Eriks Firma vor. Aber es wurde mir einfach zu sehr nebenbei darauf eingegangen, als dass ich so richtig dran hätte glauben können. Entsprechend hat mich auch dieser Teil nicht gepackt.
Etwa auf der Hälfte der Geschichte wendete sich das Blatt dann zum Glück. Die zweite Hälfte habe ich an einem Abend in einem Rutsch gelesen. Das lag einerseits daran, dass endlich wirklich etwas richtig Dramatisches geschieht, aber vor allen auch daran, dass Joanna und Erik von nun an -so gut es geht- gemeinsam nachforschen, was plötzlich in ihrem Leben vor sich geht. Trotz gewisser Bedenken hier und da, kommen sie zunehmend besser miteinander aus. Dadurch bekam ich endlich eine solch klare Vorstellung von ihrem Wesen, dass ich mit ihnen hoffen und bangen konnte. Endlich kam richtig Schwung und Tempo ins Geschehen und so hatte Langeweile keine Chance mhr bei mir. Ich wollte nun wirklich wissen, was da vor sich geht.So gehört sich das für mich für einen Thriller.
Das wiegt es auch auf, dass mir die Auflösung doch etwas weit hergeholt vorkam. Jedenfalls in der Hinsicht, wieso Joanna plötzlich nichts mehr von Erik weiß. Mag sein, dass so etwas möglich ist, das weiß ich nicht, aber mir kommt es eben ziemlich an den Haaren herbeigezogen vor. Da lasse ich mich gerne eines Besseren belehren.
Für die erste Hälfte des Buchs habe ich geschlagene fünf Abende gebraucht, an denen ich mich immer zwingen musste, wenigstens fünf Kapitel weiter zu lesen. Dabei ist die Geschichte an sich unterhaltsam geschrieben und entsprechend gut zu lesen. Mir war sie einfach inhaltlich zu unspannend. In der zweiten Hälfte spornte der unterhaltsame und leichte Schreibstil dann mein Lesemtempo ordentlich an. Dazu das rasante Geschehen und die abwechselnden Sichtweisen auf das Geschehen, da flogen die Seiten plötzlich nur so dahin.
Das Covermotiv sprach mich sofort an. Es ist schön düster wie ich es für einen Thriller mag. Die Frau blickt misstrauisch drein, was gut zu der Figur der Joanna passt. Auf dem rückwärtigen Deckel ist ein Männergesicht zu sehen, das wohl Erik darstellen soll. Auch er schaut skeptisch und -wie ich finde- auch ein bisschen traurig. Das passt gut zu Erik.
Fazit: Die erste Hälfte von „Fremd“ hat es mir wirklich schwer gemacht. Da man ausser ein paar Informationen nichts über Erik und Joanna erfährt, habe ich keinen Zugang zu ihnen gefunden. Ich habe ihnen quasi aus der Distanz zugesehen, mehr war es nicht. Ich brauche einfach diesen Zugang zu Figuren um mit ihnen fühlen zu können. Das fehlte mir hier, weswegen ich „Fremd“ lange absolut unspannend fand. Zum Glück wendete sich das Blatt etwas auf der Hälfte. Von da an ging es so spannend und rasant zu, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. So hat „Fremd“ gerade noch die Kurve bekommen.
Titel: Fremd
Autor: Ursula Poznanski, Arno Strobel
Seiten: 400
Verlag: Wunderlich by Rowohlt
ISBN: 978-3805250849
Preis: 16,99 (Broschiert)
Peter H.
14. Mai 2016 um 14:44 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Hallo! 🙂
Bei mir ist das genau umgekehrt. Ich fand gerade den ersten Teil total überzeugend (durch die Ich-Perspektiven konnte man die Unsicherheit, Gedanken, Gefühle sehr gut nachvollziehen). Der zweite Teil war für mich nur noch wie ein Hollywood-Verschwörungsfilm (Explosion, Projekt Phoenix) und auch die Auflösung ist in sich nicht ganz stimmig gewesen.
LG
Peter
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