Nur fünf Minuten hat Helga Schwabe ihren Sohn aus den Augen gelassen. Einen unaufmerksamen Moment lang. Und in diesem Moment ist er verschwunden. Als fielen Hauptkommissar Henry Conroy die Ermittlungen in diesem Fall mutmaßlicher Kindesentführung nicht schon schwer genug, muss er sich auch noch mit einer neuen Kollegin herumschlagen. Vorlaut, frech, selbstbestimmt – das ist Manuela Sperling. Aber sie hat einen guten Riecher. Und bald stoßen die beiden auf eine Spur, die zu einem einsamen, verfallenen Gehöft im Niemandsland an der Grenze zu Tschechien führt, auf dem illegal Hunde gezüchtet.
Ein neuer Thriller von Andreas Winkelmann? Muss ich haben! Wobei ich dieses Mal aus einem bestimmten Grund gezögert habe, doch dazu später mehr, denn mit der Geschichte hatte das nichts zu tun.
Die beginnt -im Verhältnis zum späteren Geschehen- vergleichsweise harmlos. Ein Kind ist aus dem elterlichen Garten verschwunden. Doch bald schon steht der Verdacht im Raum, dass es nicht einfach nur ausgebüxt ist, sondern womöglich entführt wurde!
Das ruft Hauptkommissar Henry Conroy auf den Plan. Ich mochte ihn zunächst überhaupt nicht, wie ich zugeben muss. Genau wie schon der Kommissar im „Wassermann“ fand ich ihn schlichtweg unsympathisch und war tierisch genervt von seiner grundlos brummigen und ruppigen Art.
Manuela Sperling ist genau das Gegenteil, und ich war heilfroh als sie auf der Bildfläche erschien. Ihre Art lockert einfach auf und schnell war klar, dass sie auch den miesepetrigen Hauptkommissar aus der Reserve locken würde. Ich kenne sie vom besagten Wassermann-Thriller, doch eigentlich ist kein Vorwissen nötig um in „Die Zucht“ mit Manuela zurechtzukommen. Mit ihr freundet man sich schnell an.
Der Fall zieht schnell größere und weitere Kreise: in die kleine Ortschaft mit ihren verschlossenen Bewohner bis hin zur tschechischen Grenze. Das hatte ich bei dem recht einfach gehaltenen Beginn so gar nicht erwartet. Und auch wenn ich mich mit mehreren Schauplätzen manchmal schwer tue, so fiel es mir hier sehr leicht den Überblick zu behalten. Besonderen Eindruck haben bei mir die Teile hinterlassen, die auf einem gewissen Hof spielen. Grausig, was dort vor sich geht! Und verwirrend! Denn es gab etwas, das ich mir einfach nicht vorstellen konnte. Immerhin ist „Die Zucht“ ein Thriller, da hat Phantastisches nichts verloren. Und doch klingt es manchmal so und sorgt für Grusel.
Spannend ist nahezu jeder Teil der Geschichte. Sei es die Polizeiarbeit, die Suche zweier junger Leute nach einer verschwundenen Freundin oder eben das Geschehen auf dem Hof. Lediglich die gelegentlichen Blicke in die winterliche Vergangenheit waren nicht nach meinem Geschmack. Ich habe es mit Vergangenem schlichtweg nicht. Das werden Leser, die sich dafür interessieren sicher anders sehen. Also kann man das der Story nicht ankreiden.
Es hat Spass gemacht zu verfolgen, wie nach und nach alle Handlungsstränge zusammenlaufen. Man kann gut mtiknobeln und hier und da erahnt man auch mal einen Zusammenhang, der sich erfreulicherweise bei mir meist als richtig herausstellte. So macht die „Polizeiarbeit“ mit dem Buch in der Hand richtig Laune. Und so kam es, dass ich das Buch an einem Abend ausgelesen habe. So spannend und so interessant und abwechslungsreich, ich wollte unbedingt wissen, wie es ausgeht.
Drei Fragen habe ich mir allerdings gestellt. Dazu sei gesagt, dass ich kein mäkeliger Leser bin. Fehler fallen mir meist gar nicht auf. Es heißt also was, wenn doch! Einmal heißt Ralf plötzlich Frank. Ein anderes Mal wird ein West Highland Terrier gefunden und später taucht ein weiterer Hund dieser Rasse auf, ist dann jedoch ein Yorkshire Terrier. Und zuletzt: wie sieht man einer Speicherkarte denn bitte an, dass sie zu einer Kamera gehört? Auf meinen steht das nirgends explizit drauf. Aber Lea erkennt das natürlich sofort! Vermutlich am ehesten, weil in diesem Moment ein bisschen Glück in Sachen Nachforschungen nicht schaden kann um voranzukommen.
Andreas Winkelmann hat einen Schreibstil, der einen sofort packt und dann nicht mehr loslässt. Dabei ist er einerseits total locker, schafft es andererseits aber auch im Nu für Spannung (und bei Bedarf auch Grusel) zu sorgen. Wow! Das liest sich weg wie nichts und die Seiten fliegen nur so dahin. Und obendrein haben die Kapitel noch diese verhängnisvolle Länge, der ich immer wieder zum Opfer falle. „Ach, eins noch!“
Ja, ja, schon klar…
Für gebundene Bücher zahle ich gerne mal etwas mehr. Aber warum ich für ein broschiertes Buch annähernd genauso viel zahlen muss, das werde ich nie verstehen. Darum blieb „Die Zucht“ auch erstmal im Laden stehen. Siebzehn Euro für ein etwas besseres Taschenbuch, darüber darf man gar nicht groß nachdenken! Noch dazu finde ich das Cover „in echt“ längst nicht so toll wie im Internet. Mich stört der Glanz, auf dem man jeden Fingertapsen sieht. Und erst recht jede Leserille, die bei den tollen broschierten Büchern kaum ausbleiben. Da konnte auch der geprägte Stacheldraht nichts retten. Optisch das schwächste Cover unter den Büchern von Andreas Winkelmann.
Fazit: Die Story lässt sich recht harmlos an, legt dann aber schnell an Tempo und Komplexität zu. Dennoch fällt es leicht, den Überblick zu behalten. Und so konnte ich das Buch bald nicht mehr aus der Hand legen. Super spannend, hier und da sogar ein wenig gruselig und ideal zum Mitknobeln. Nachdem mir der miesepetrige Kommissar Conroy den Anfang noch schwer gemacht hatte, war die Geschichte dann doch voll und ganz nach meinem Geschmack. Der Preis ist allerdings -in meinen Augen- einfach unverschämt. Da kann ich jeden verstehen, der auf das normale Taschenbuch wartet. Für schlappe 17,00 bekomme ich andernorts gebundene Bücher! Würde ich Andreas Winkelmanns Bücher nicht sammeln, hätte ich auch gewartet.
Titel: Die Zucht
Autor: Andreas Winkelmann
Seiten: 512
Verlag: Wunderlich Verlag by Rowohlt
ISBN: 978-3805250382
Preis: 16,95 (Broschiert)
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