Eine einsame Bahnschranke im Wald, dunkle Nacht. Seit an diesem Ort vier ihrer Freunde bei einem mysteriösen Unfall ums Leben kamen, wird Melanie von panischer Angst ergriffen, wenn sie hier nachts anhalten muss. Denn jedes Mal scheint es ihr, als krieche eine dunkle, schemenhafte Gestalt vom Waldrand auf ihren Wagen zu. Niemand glaubt ihr – bis die junge Jasmin Dreyer verschwindet, und ihr Fahrrad an der Bahnschranke gefunden wird.
Andreas Winkelmann gehört schon länger zu meinen Lieblingsthrillerautoren. Bei diesem Buch hatte ich anfangs allerdings das seltsame Gefühl, Kommissarin Nele Karminter bereits vorn irgendwoher zu kennen. Ich habe kurz nachgeschaut und sie in „Bleicher Tod“ gefunden, das ich vor Längerem gelesen habe. Irgendwie habe ich die Sache mit ihr also quasi von hinten aufgezäumt.
Das hatte aber widerum den Vorteil, dass ich sie nicht erst noch kennenlernen musste. Stattdessen habe ich sie im Laufe dieser Geschichte einfach nur noch besser kennengelernt. Es ist also kein Problem, wenn man in die Thriller mit ihr so quer einsteigt wie ich.
Das Buch beginnt mit einem Rückblick in das Jahr vor dem, in dem die eigentliche Handlung spielt. Schon dieser Rückblick lässt einen schaudern und sorgt für eine wohlige Gänsehaut. Ich fand ihn sogar etwas gruselig und war damit gleich gut eingestimmt auf den Rest der Geschichte.
Ich muss gestehen, dass ich Züge irgendwie auch unheimlich finde. Speziell, wenn es dunkel ist und diese Tonnen an Metall in unaufhaltsamem Tempo vorbeirauschen. Das habe ich bisher zum Glück nur in Bahnhöfen erlebt, aber an einer einsamen Bahnschranke, abends im dunklen Wald, muss das noch viel unheimlicher wirken. Entsprechend schauerlich fand ich hier die Szenen an der einsam gelegenen Bahnschranke.
Erschreckend regelmäßig und schnell hintereinander verschwinden an dieser Schranke junge Mädchen. Nele Karminter und ihr Team müssen herausfinden, wer dahinter steckt und wo sich die Mädchen befinden.
Ich fand diese Jagd nach dem Täter durchweg sehr spannend und habe ordentlich mitgefiebert. Dabei hat mir besonders gefallen, dass die Ermittlungen keineswegs immer wie am Schnürchen verlaufen. Lange haben sie gar keinen Anhaltspunkt, fischen praktisch im Trüben und obendrein sitzt ihnen noch die Chefetage im Nacken. Ich kann mir gut vorstellen, dass Polizeiarbeit in der Realität auch manches Mal so aussieht. Daher mag ich es einfach gerne, wenn Ermittler in Büchern keine Überflieger sind, die den Täter im Nu erwischen. Außerdem freundet man sich hier wirklich leicht mit Nele, ihrer Freundin Anou, dem Kollegen Tim usw an. Das macht es umso spannender, denn natürlich sorgt man sich vor allem um Figuren, die man mag.
Genauso gut hat mir der Schlupfwinkel des Täters gefallen. Solch eine Anlage ist irgendwo schon eine coole Vorstellung. Vielleicht ein wenig gruselig und sicher auch gefährlich, aber eben auch so cool, dass ich mich dort gerne mal genauer umschauen würde.
Der Täter selber dagegen hat nicht ganz meinen Geschmack getroffen. Natürlich ist er grausam, skrupellos und krank im Kopf, somit also absolut nach meinem Geschmack, aber mir fehlte das gewisse Etwas. Das, was ihn besonders macht und von anderen Psychopathen abhebt. Denn außer einer äußerlichen Eigenschaft gibt es keinen nennenswerten Unterschied zu seinen Kollegen. Und die sind schließlich genauso grausam, skrupellos und krank im Kopf. Andererseits sage ich mir, dass 2009 vielleicht noch nicht so viele Thriller in den Regalen der Buchhandlungen standen und entsprechend weniger Psychopathen dort unterwegs waren als heute. Das kann sein.
Ob man das Motiv bzw den Auslöser für seine Taten für überzeugend hält, das muss jeder für sich entscheiden. Ich habe ja etwas gegen diese Theorie mit der schlimmen Kindheit und finde sie nicht zwangsläufig überzeugend.
Übrigens musste ich ab und zu schmunzeln. Denn man navigiert in dieser Geschichte noch mit Landkarten! Und wenn man Infos über eine Gegend braucht, dann schmeißt man nicht kurz mal google an, sondern fragt bei Ortskundigen nach. Das ist irgendwie niedlich 😉
Das Buch liest sich prima und zügig weg. Andreas Winkelmann gehört für mich zu den Autoren, die beweisen, dass auch ein flüssiger und unterhaltsamer Schreibstil im Nullkommanix für Spannung und eine düstere Atmosphäre sorgen kann. Die Kapitel sind hier recht lang, zumal jedes von einem ganzen Tag erzählt. Das bedeutet aber auch, dass einen jedes ein ordentliches Stück voran bringt.
Bei dem Cover habe ich lange überlegt, ob mir der blutrote Fleck etwas sagen soll. Soll das eine Silhouette von irgendwas sein? Dann habe ich Andreas Winkelmanns „Hänschen klein“ daneben gelegt und beschlossen, dass es einfach nur ein blutroter Fleck und wohl ein „Markenzeichen“ seiner Thriller aus 2009 / 2010 ist. Das ist auch in Ordnung, Blutrot passt zu einem Thriller. Und ein Wald, wie er im oberen Teil des Motivs zu sehen ist, spielt in der Geschichte eine große Rolle.
Fazit: Ein spannender Thriller, nach dem ich mich auf den kurzen Wegen in meiner dunklen Wohnung durchaus etwas unwohl gefühlt habe. So müssen solche Bücher bei mir wirken, dann mag ich sie. Außerdem fand ich es schön, Kommissarin Nele Karminter etwas besser kennenzulernen und konnte gut nachempfinden, unter welchem Druck sie und ihr Team bei den Ermittlungen stehen. Der Täter hätte für mich gerne etwas einzigartiger sein dürfen, abe 2009 tummelten sich vielleicht noch nicht so viele Psychopathen in den Bücherregalen, so dass dieser hier damals tatsächlich besonders grausig wirkte.
Titel: Tief im Wald und unter der Erde
Autor: Andreas Winkelmann
Seiten:408
Verlag: Goldmann Verlag
ISBN: 978-3442469550
Preis: 8,95 (TB)
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